Zentrale Lernstandserhebungen: Die Diskussion geht weiter
Der Grundschulverband hatte Aufgabenstellung und Auswertung der zentralen Schulleistungstests (VERgleichsArbeiten: „VERA“) in sieben Bundesländern einer eingehenden Analyse unterzogen und war zu dem Schluss gekommen: „Die Aufgaben sind zum großen Teil unbrauchbar, zum Teil skandalös. Die Ergebnisse sind deshalb Makulatur.“
Die Antwort der VERA-Macher
Auf die vehemente Kritik antworten die „VERA-Macher“ um Prof. Andreas Helmke (Universität Landau) in der soeben erschienenen Ausgabe der Zeitschrift des Grundschulverbandes, „Grundschule aktuell“.
Sie verteidigen Anlage und Aufgabenstellungen der zentralen Tests: „Ein sehr zentrales Kriterium für Testaufgaben ist beispielsweise die Ökonomie, … weshalb in der Testkonstruktion u.a. darauf geachtet werden muss, dass die Schülerinnen und Schüler möglichst wenig selbst schreiben müssen (stattdessen: Ankreuzen, Unterstreichen etc.).“ („Grundschule aktuell“, Heft 90, S. 4)
„Genau dies aber ist das Problem“, entgegnet Horst Bartnitzky, Vorsitzender des Grundschulverbandes: „Nachdenken wird als zu zeitaufwändig angesehen, eine ‚objektive’ Auswertung als zu schwierig.“

Vorgeschichte und Erwartungen
An der Universität Landau waren die Antworten von über 400.000 Schülerinnen und Schülern – aufwändig von ihren Lehrerinnen und Lehrern in den PC eingegeben – zusammengekommen. Testgläubig wurde angenommen, dass Ergebnisse aussagekräftig sein müssten, wenn Großrechner solche Datenmengen erfassen und daraus Resultate berechnen.
Die Kultus- und Schulministerien der beteiligten Bundesländer hatten die zentralen Lernstandserhebungen dann unisono auch als „großen Erfolg“ gewertet, so NRW-Schulministerin Ute Schäfer: „Die Daten liefern eine wichtige Grundlage für die qualitative Weiterentwicklung der schulischen Arbeit.“
Unterm Strich – was kommt heraus?
„Dass das durchschnittliche Grundschulkind in NRW statistisch gesehen weder dümmer noch gescheiter ist als Altersgenossen in Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Bremen und Berlin“ resümierte die Neue Rhein Zeitung.
„Lesekompetenz ist grundlegend auch für das Lernen in anderen Leistungsbereichen. Deshalb zeigt VERA einmal mehr die Notwendigkeit der intensiven Leseförderung …“ und

„… weisen die Ergebnisse auf die Notwendigkeit hin, dass dem Sachrechnen ein noch höherer Stellenwert im Mathematikunterricht zukommen sollte.“ So heißt es im offiziellen „Amtsblatt“ des Schulministeriums NRW)

Und ebenda: „An Hauptschulen in einem schwierigen sozialen Umfeld gehört fast jede/r zweite Jugendliche zur Risikogruppe“, – an „den Gymnasien in gutbürgerlichen Vierteln landet mindestens jeder dritte Schüler in der Spitzengruppe“. Der Lernerfolg also hängt stark ab vom Portmonee der Eltern!

 

Nichts Neues nach PISA und IGLU
All dies ist längst bekannt, umfassend untersucht und belegt – die bildungspolitischen Konsequenzen allerdings werden seit Jahren nicht gezogen.
„Der Erkenntniswert ist gleich null. Angesichts des immensen Arbeitsaufwandes für Lehrerinnen und Lehrer und der beträchtlichen Geldmittel, die hier aufgewandt wurden, bleibt dies ein schulpolitischer Skandal“, stellt der Grundschulverband fest.

Wie geht es weiter?
Die heftige Kritik des Grundschulverbandes und anderer Organisationen, aber auch die vielen kritischen Stimmen aus den Grundschulen an den zentralen Lernstandserhebungen in sieben Bundes-ländern haben erste Wirkungen gezeigt.
Die nordrhein-westfälische Schulministerin Ute Schäfer kündigte jetzt an,
– die technischen Abläufe und die Dateneingabe im Internet vereinfachen zu wollen, nicht mehr jährlich alle Teilleistungsbereiche in Deutsch und Mathematik zu untersuchen, dadurch die Durchführungszeit der Vergleichsarbeiten für die teilnehmenden Kinder zu verkürzen (bislang 60- bzw. 90-minütige Klausuren), sowie
– ab dem Schuljahr 2006/07 die Lernstandserhebungen schon in Klasse 3 durchzuführen.
Solche Verbesserungen im Detail lösen nicht die grundsätzlichen Widersprüche der zentralen Lernstandserhebungen.
Horst Bartnitzky: „Die Ergebnisse werden von den VERA-Machern wie von den Auftraggebern so gehandelt, als seien sie Generalaussagen über Leistungsprofile von Klassen und sogar von einzelnen Schülern. Diese völlige Überschätzung des Aussagewertes über jedes vertretbare Maß hinaus ist das Kernübel.“ („Grundschule aktuell“, Heft 90, S. 5)

Der Grundschulverband setzt dem sein Projekt „Pädagogische Leistungskultur“ entgegen. Erziehungswissenschaftler/innen und Praktiker/innen erarbeiten derzeit praxistaugliche und didaktisch angemessene Lerndiagnosen für die Lehrerinnen und Lehrer an den Grundschulen, die zu Beginn des neuen Schuljahres der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Frankfurt/M, 10.05.2005
V.i.S.d.P. Ulrich Hecker, Grundschulverband, Niddastr. 52, 60329 Frankfurt/M
Tel.: 069-776006 / Fax: 069-7074780