Von der Druckschrift zur persönlichen Handschrift

Schuleigener Arbeitsplan „Schrift und Schreiben“

Prof. Hans Brügelmann gibt einen kompakten Überblick über den Forschungsstand zur Entwicklung der Handschrift. Ein wichtiges Fazit:

»Wer eine eindeutige Befundlage zur Voraussetzung für die Einführung eines Unterrichtskonzepts macht, darf das Schreiben mit der Hand überhaupt nicht zum Gegenstand von Unterricht machen.«

Aus der Forschung
Kurzer Überblick über die aktuelle Diskussion und den Stand der Forschung (aktualisiert)
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Stellungnahme zu Detailkritiken von Götz Taubert (2015)

von Prof. Dr. Hans Brügelmann

Ergänzende Anmerkung (5.7.2015):

Auch Herrn Tauberts zweite Stellungnahme zu meinem Beitrag zeigt, dass er dessen Argumentationslogik nicht verstanden hat. Er suggeriert, ich wolle die generelle Überlegenheit der Druckschrift beweisen, was die Untersuchungsergebnisse aber nicht hergäben. Das tun sie in der Tat nicht (s. in meinem Text S. 3, wo ich die forschungsmethodischen Einschränkungen ausführlich darstelle).

Meine Argumentation ist aber andersherum angelegt: Spricht die Befundlage gegen die Entwicklung der Handschrift aus der Druckschrift? (a.a.O., S. 2, 3). Konkret geht es ja um die Frage, ob Lehrer/innen den Umweg über eine Standardschreibschrift gehen müssen oder ob sie die persönliche Handschrift direkt aus der Druckschrift entwickeln dürfen.

Anders gesagt: Kann dieser direkte Weg untersagt werden, wie von verschiedenen Seiten gefordert wird, weil er belegbar negative Folgen für die Kinder hätte?

Mein Beitrag zeigt, dass diese Sorgen empirisch nicht gestützt werden können, da die Befunde – bei allen, auch von mir schon genannten, Einschränkungen – eher in die andere Richtung weisen.

Auch Taubert folgert aus seiner Kritik an einzelnen Punkten nicht, dass andere Schriften der Grundschrift vorzuziehen seien. Selbst implizit lässt sich aus seinen Anmerkungen eine solche Folgerung nicht herleiten – was angesichts der Befundlage auch überraschen würde.

Er führt auch keine weiteren Untersuchungen ins Feld, die eine andere Einschätzung begründen könnten. Aber anscheinend geht es ihm gar nicht um die Klärung der Sache. Denn sonst hätte er Farbe bekennen müssen, wie ER mit der unbefriedigenden empirischen Situation angesichts des Entscheidungsdrucks in der Praxis umgehen würde.

Für die anstehenden Fragen und Entscheidungen werfen Tauberts Detailanalysen insofern keinen Erkenntnisgewinn ab. Da er aber versucht, mit ihnen meine fachliche Redlichkeit in Zweifel zu ziehen, werde ich sie zu einem späteren Zeitpunkt noch im Einzelnen kommentieren (z. B. seine unzulässige Gleichsetzung von „Repräsentativität“ mit Stichprobengröße oder seine Verwechslung von „Tendenz“ mit „Signifikanz“).

Wer mir sein Interesse an dieser Stellungnahme unter hans.bruegelmann@grundschulverband.de mitteilt, erhält sie demnächst direkt zugeschickt.

P.S.: Da Herr Taubert gegenüber Dritten behauptet, ich hätte Beiträge aufgrund seiner Kritik „zurückgezogen“, weise ich darauf hin, dass der 2014er b&w-Beitrag weiterhin im Print zugänglich ist und lediglich auf dieser Website durch den ausführlicheren 2015er Beitrag abgelöst wurde, inzwischen ergänzt um einige Berichtigungen bzw. Klarstellungen in Details.

Stellungnahme vom 18.6.2015

In seinen Anmerkungen zu meinen Texten von 2014 und 2015 hat Herr Taubert unter http://www.grundschrift.info/bruegelmann.htm auf einige Fehler bzw. Ungenauigkeiten hingewiesen. Auch wenn es sich nur um wenige und zudem kleinere Punkte handelt, die die Argumentation und Gesamteinschätzung inhaltlich nicht verändern, sind auch solche Nachlässigkeiten im Detail ärgerlich, zumal sie vom Kern der Diskussion ablenken. Ich werde sie im Folgenden – soweit nötig – berichtigen bzw. klarstellen.

Zum Forschungsüberblick von 2015 (ergänzend zu Grundschule aktuell Nr. 130, siehe oben)

2.1

a) Um die Studie von Meis zutreffend und unmissverständlich wiederzugeben, heißt jetzt es jetzt in der revidierten Fassung:

„Die Druckschrift-Schreiber konnten die Vorlage besser wiedergeben und produzierten weniger Formfehler.“ Meis‘ Aussagen zur höheren Schreibgeschwindigkeit beziehen sich in der Tat nicht auf die eigenen Untersuchung, sondern auf eine von ihm zitierte Studie Dritter.

b) Dagegen ist die Einordnung als „Druckschrift-Schreiber“ sachangemessen, obwohl in seiner Untersuchung die Kinder am Schulanfang Buchstaben „nachmalen“. Für die Wahl der Schriftart im Unterricht ist nicht nur bedeutsam, wie flüssig/ formklar der kompetente Schreiber sie schreibt, sondern auch, welche Schriftform den Anfänger_innen als Einstieg am leichtesten fällt.

2.2

Es ist richtig, dass Mai in seiner Auswertung (1991) keine eigenen Daten zum Schreibdruck berichtet, sondern sich für diesen Aspekt auf eine frühere Untersuchung von Denier van der Gron/ Thuring (1965) bezogen hat. Insofern ist in der Tabelle 1 die spätere Publikation Mai/ Marquardt (1998) zu ergänzen (die sich auch schon im Literaturverzeichnis findet). In ihr berichten die Autoren über eine eigene Studie zum Schreibdruck – ebenfalls mit dem Ergebnis: „ … dass auch routinierte Schreiber bei längeren Wörtern den Schreibdruck erhöhen, aber nur unter der Bedingung, dass alle Buchstaben miteinander verbunden werden müssen… Weiterhin war unter dieser Bedingung eine deutlich verminderte Schreibgeschwind igkeit…und ein verminderter Automatisierungsgrad der Bewegungen … zu beobachten. Keine Unterschiede fanden sich hingegen beim Schreiben langer Wörter, wenn die Buchstaben nicht miteinander verbunden werden mussten (Marquardt et al. 1996b).“

2.3

Es ist richtig, dass zwei Stichproben zu unterscheiden sind: 165 Schüler_innen haben an der Untersuchung teilgenommen. Aus dieser Grundgesamtheit wurden pro Schule (=Schreiblehrkonzept) für die Jahrgänge 4, 5 und 6 jeweils 18 Schüler_innen nach Zufall gezogen, d. h. insgesamt 108 in die Auswertung einbezogen.

Zum Meinungsartikel in b&w von 2014

(inzwischen durch den ausführlichen Überblick von 2015 ersetzt)

3.1/ 3.2

Es ist richtig, die Zitierweise in dem journalistischen Text von 2014 ist an dieser Stelle verkürzt und kann in die Irre führen. Er wurde inzwischen durch eine detaillierte Analyse (2015) ersetzt. Die knappe Zusammenfassung konnte in der Tat so gelesen werden, als ob in allen zitierten Studien alle Kriterien untersucht worden wären. In dem Fachbeitrag von 2015 sind die Bezüge dagegen explizit getrennt. Zur Klarstellung (s. im Einzelnen den Anhang zu 2015):

– Graham u. a. 1998 haben Formklarheit und Geschwindigkeit untersucht und Vorteile für tei lverbundene Schriftformen festgestellt.

– Morin u. a. 2012 haben diese beiden Aspekte und zusätzlich Sprachmerkmale der Texte untersucht; für die Formqualität (einer Bedingung leichter Lesbarkeit und darum unter diesem Begriff subsumiert) stellten sie keine Unterschiede fest, für die Schreibgeschwindigkeit Vorteile für die Druckschrift und für die verschiedenen Sprachmerkmale fallen die Ergebnisse gemischt aus.

– Meis 1963 hat das Nachschreiben von Druckschrift und Schreibschrift am Schulanfang nur unter dem Aspekt der Formqualität (eine Bedingung leichter Lesbarkeit) untersucht und für dieses Kriterium Vorteile für die Druckschrift festgestellt (s. oben 2.1). Insofern ist die Art der Zitierung von Meis zusammen mit Morin u.a. und Graham u.a. nicht zutreffend; die Befunde bestätigen sich nicht, sondern ergänzen sich.

3.3

Den Begriff Grundlagenforschung kann man unterschiedlich verstehen. Anders als Taubert ist aus meiner Sicht nicht die Zahl der Proband_innen entscheidend, sondern die Anlage und Art der Untersuchung. Konkret ging es mir an dieser Stelle um die Abgrenzung eng fokussierter Laborstudien unter kontrollierten Bedingungen, um Mikroanalysen von Teilelistungen durchführen zu können, von Untersuchungen im Feld Schule, die zwar praxisnäher, aber auch grobkörniger sind und deren Ergebnisse stärker durch Kontextbedingungen beeinflusst werden. In seiner Detailkritik hat Taubert zudem übersehen, dass ich mich nicht nur auf Mahrhofer 2004, sondern auch auf ihre Zusammenfassung von 2010 beziehe.

Fazit

Einige der von Taubert geforderten Berichtigungen bzw. Präzisierungen helfen zur Klarstellung. Die Einschätzung des Forschungsstandes verändern sie nicht. Über die hoch moralisierenden Bewertungen des Kollegen mögen die Leser_innen selbst urteilen.