Wie lange noch ist die Grundschule in Deutschland das schulpolitische Stiefkind?
Dem Bundespräsidenten sei Dank. Endlich wird ausgesprochen, was die Schulpolitik jahrzehntelang verschuldet und nun bei den Pisa-Ergebnissen offensichtlich wird: die sträfliche Vernachlässigung der grundlegenden Bildung in Deutschland.

Die traurigen Fakten: Der Kindergarten wird als Verwahreinrichtung betrachtet, für deren Dienstleistung die Eltern zahlen müssen – statt als erste Bildungsstätte anerkannt und gefördert zu werden. Die Grundschule ist die Billigschule, sie steht im Vergleich der führenden Industrienationen erbärmlich da: Die gemeinsame Schulzeit aller Kinder ist fast nirgendwo so kurz. Die Klassen sind größer und die tägliche Unterrichtszeit ist kürzer als in den meisten anderen Ländern. Die frühen Zensierungen und Leistungsvergleiche nehmen den Kindern die Zeit, Leistungsfähigkeit aufzubauen und motiviert sie falsch – nämlich nicht zum Interesse an Bildung sondern für ein Belohnungssystem; auch hier unterscheidet sich Deutschland unrühmlich von den anderen Ländern.

In Heller und Pfennig ausgedrückt: In Deutschland wird in jedes Grundschulkind 3.490 Dollar investiert, in Finnland z.B. sind es 4.640 Dollar (OECD-Bericht 2000). Dieser Geiz an falscher Stelle ist bekannt. Der Bremer Schulsenator Lemke bekannte nach Veröffentlichung dieser Zahlen im Jahr 2000: „Das habe ich nicht gewusst.“ Längst weiß er es, wie alle anderen Bildungspolitiker auch. Nur getan hat sich nichts. Im Gegenteil, der Grundschule werden ständig neue Aufgaben aufgebürdet: die Integration Behinderter, das Deutschlernen der Migranten, frühes Fremdsprachenlernen, Umgang mit dem Computer … Das kann auf Dauer nicht gehen. Die Quittung liegt mit PISA vor, die nächste kommt im nächsten Jahr, wenn die Ergebnisse der Grundschuluntersuchung IGLU bekannt werden.

Wie das Bildungssystem geändert werden müsste, machen die erfolgreicheren Länder deutlich. Der Grundschulverband fordert dies seit langem:
Kleine Kinder brauchen:

 

an jedem Tag mehr Unterrichtszeit, wie sie die ganze Halbtagsschule oder die Ganztagesschule bietet (hier ist Unterricht, nicht Betreuung gemeint!)

mehr Jahre gemeinsamen Lernens, mindestens aber 6 Jahre

kleinere Klassen für individuelle Förderungen

besondere Zuwendungen an Lehrkräften und an Finanzen für Schulen in schwierigen pädagogischen Verhältnissen.

 

Der Vorsitzende des Grundschulverbandes Horst Bartnitzky: „Der grundlegende Bildungsbereich ist nach wie vor Stiefkind, die gymnasiale Oberstufe das Hätschelkind der Schulpolitik. Für einen Oberstufenschüler wird nämlich viermal so viel ausgegeben wie für ein Grundschulkind. Das ist die verkehrte Welt der Schulpolitik: Wo Kinder erst lernen müssen, selbstständig zu werden, wird am wenigsten investiert, wo Jugendliche selbst lernen können, wird am meisten investiert. Es wird höchste Zeit, dies vom Kopf auf die Füße zu stellen.“